Der Sperlingskauz am Amtsgericht

Es war 9.00 Uhr morgens, als Susanne Langer am 19. Juli 2021 urplötzlich einen Schlag am Fenster ihres Büros im Amtsgericht Ludwigsburg hörte – ein Vogel war gegen die Scheibe geflogen. Sofort eilte Frau Langer hinaus, um nach dem womöglich verletzten Tier zu suchen. Die Überraschung war groß, als sie einen auf dem Rücken liegenden Sperlingskauz (Glaucidium passerinum) unter ihrem Amtsfenster fand. Die benommene Eule wurde umgehend ins Tierheim Ludwigsburg in Hoheneck in die Obhut von Frau Ursula Gericke gebracht.

Sperlingskauz im Tierheim Ludwigsburg
Der Kauz in der Obhut des Tierheims Ludwigsburg

Am 22. Juli wurde der Kauz vom Ludwigsburger Ornithologen und Eulen-Experten Prof. Dr. Claus König sowie von Herbert Keil (Vorsitzender FOGE e.V.) begutachtet und als genesen beurteilt. Man entschied sich, den Vogel möglichst zeitnah auszuwildern. Der Sperlingskauz wurde zunächst beringt und dann in eine geeignete Transportbox gesetzt.

Sperlingskauz wird untersucht
Der Sperlingskauz wird untersucht. Foto (c) Claus König

Prof. Dr. König und seine Frau Ingrid nahmen die Mühe auf sich, den Kauz in ein geeignetes Habitat in Enzklösterle im Nordschwarzwald zu fahren, um ihn dort auszuwildern. Der zuständige Revierbeamte des Forstamtes wurde von Ehepaar König über das Vorhaben informiert.

Ingrid König mit Kauz in Transportbox
Ingrid König mit dem Kauz in der Transportbox. Foto (c) Claus König

Nachdem die Transportbox geöffnet war, flog der Sperlingskauz fast senkrecht in die Höhe und ließ sich ca. 20 m hoch auf einen Aststummel an einer toten Kiefer nieder. Dort verweilte er kurz und schaute sich um. Dann flog er in den dichten Hochwald ab und verschwand.

Sperlingskauz nach Freilassung
Der Sperlingskauz direkt nach der Freilassung. Foto (c) Claus König

Beim Sperlingskauz (Glaucidium passerinum) handelt es sich um die kleinste einheimische Eulenart. In Baden-Württemberg hat er einen Verbreitungsschwerpunkt in den großflächigen Nadelwäldern des Schwarzwalds – aber auch auf der Schwäbischen Alb, im Schönbuch und sogar im Stromberg wurden schon Bruten festgestellt. Regelmäßig besetzte Reviere konnten allerdings im Stromberg bisher nie nachgewiesen werden. Der Fund des verunfallten Sperlingskauzes in Ludwigsburg zeigt aber, dass eine Besiedlung neuer Lebensräume jederzeit möglich ist.

Sperlingskauz-Lebensraum im Schwarzwald
Der zur Auswilderung bestimmte Lebensraum im Nordschwarzwald. Foto (c) Claus König

Unklar ist, woher der Vogel stammt und wo er sich niedergelassen hätte, wenn er nicht mitten in der Stadt vor ein Fenster geflogen wäre. Bei dem Kauz handelte es sich um ein vorjähriges Männchen, das kurz vor der ersten Vollmauser stand. In diesem Alter streifen die Käuze viel umher. Die weitesten bekannten Entfernungen liegen bei etwa 300 km. 

Sicherlich bietet der  im Grenzbereich der Landkreise Ludwigsburg, Heilbronn, Enzkreis und Karlsruhe gelegene Stromberg ein gewisses Potential für den Sperlingskauz. Allerdings kommt hier auch der Waldkauz als Fressfeind des Sperlingskauzes in einer recht hohen Bestandsdichte vor. Eine – von möglichen Einzelvorkommen abgesehen – flächenhafte Ausbreitung des Sperlingskauzes im Stromberg erscheint daher unter den aktuellen Bedingungen eher unwahrscheinlich.